scarecrow / scale, 2022,
Baumwolle, Patchwork, Linoldruck, Holz, Gummi, Stahlwinkel
Maße H 310 cm x B 300 cm x 120 cm
Die ersten Jahre der Professionalität, Galerie der Künster:innen, München
Anne Seiler fertigt textile Skulpturen und Installationen. Über den direkten Umgang mit dem textilen Material, das selbsttätige Bedrucken, Bemalen und Vernähen der Stoffbah- nen, findet Seiler einen Zugriff auf Fragen von Kodierung, Aneignung und Begeh- ren
in Bezug auf Mode-Produkte der High Fashion. Bei der Arbeit „scarecrow“ handelt es sich um ein Holzgerüst, umschlungen und gleichsam bekleidet mit Stoffbahnen unter- schiedlicher Mach- art. Was im titelgebenden Vorbild, der Vogelscheuche auf dem Feld, pragmatisch mit alten Klamotten (die alte Bluse, der kaputte Pullover, der ramponierte Strohhut) gelöst wird, um die Vögel
zu verschrecken, weicht bei Seilers vergrößerten Analogie einer Herangehensweise unter veränderter Zweckmäßigkeit. Ver- scheucht werden soll niemand, vielmehr steht die Anziehungs- kraft der Mode und ihr fetischisierter (Waren-)Charakter zur Dispositi- on. Überdimensionierte Schmuckketten aus gedrechsel- ten, hölzernen Perlen und das Paar hölzerner Plateau-Schuhe unterstützen den Anthropomorphismus der Skulptur und ver- vollständigen zugleich das modische Erscheinungsbild der Figur um das Detail des Accessoires. Augenfällig ist die von Seiler aufgebrachte aufwendige Handarbeit bei der Herstellung ihrer detailreichen skulpturalen Kleidungsstücke, die allen Elementen einen Unikatstatus zukommen lässt. Beiläufig verschiebt sich so ein auf das Luxusgut Mode gerichtetes Begehren aus der Kon- sumsphäre in die Sphäre der Produktion – der Luxus wird in einer positiven Verschwendung gesucht, in der Hingabe an die Arbeit, dem Herstellen von Kunst.
Text: Stephan Janitzky